Die Heuchler in den Sportarenen

Eine Tag vor dem Start der Tour de France ist Doping fast das einzige dabei interessierende Thema. Politik wie Medien überschlagen sich in Empörung und Abscheu über die Unmoral der Radfahrer und verstärken damit den ohnehin bestehenden Eindruck, sie wollten – wie der Brandstifter, der sich besonders eifrig beim Löschen engagiert – dadurch vor allem von der eigenen Verantwortung für die nicht auf das Radfahren beschränkte Fehlentwicklung des Sports ablenken.

Vor fünfzig Jahren dominierte in der Welt der Amateursport, auch wenn es bereits die ersten Profisportler gab. Sie aber wurden in der Sportwelt kaum ernst genommen. Ihre Boxkämpfe und Autorennen wurden eher als Show verstanden; der Sport wollte damit nichts zu tun haben. Doch im Laufe der Zeit wurde der Druck auf Sportler immer größer, das olympische Prinzip nicht zuerst in der Teilnahme, wie es Pierre de Coubertin formuliert hatte, zu sehen, sondern im Sieg um jeden Preis. Politiker, die mit sportlichen Siegen die Überlegenheit des einen Gesellschaftssystems über das andere beweisen wollten, hatten daran ebenso Anteil wie die Medien, besonders das Fernsehen, das um hoher Einschaltquote willen nicht die sportliche Betätigung an sich, sondern die Höchstleistung forderten. Und dafür an die Sportverbände bis hin zum Olympischen Komitee hohe Summen zahlten. Der Weg des Sports ins Gewerbe war damit von den einen wie den anderen vorgezeichnet, und wo Geld im Spiel ist, geht die Moral allemal den Bach runter. Wo ständig Höchstleistungen gefordert werden, sind bald alle Mittel recht, um diese zu bringen – ob das menschenunwürdige Trainingsbedingungen sind oder eben die Nutzung der Pharmazie zur Leistungssteigerung. Jene, die diese Entwicklung in Gang setzten und ständig forcierten, schreien nun plötzlich Zeter und Mordio; sie zeigen auf den Athleten, den sie erst durch ihre Forderungen zur Unsportlichkeit veranlassten. Die Urheber der Kommerzialisierung des Sports erweisen sich damit als Heuchler, die ihre Opfer zugleich zu Sündenböcken machen.

Und während sie die eine Hand in Unschuld waschen, arbeiten sie mit der anderen an weiterer Zurichtung des Sports auf Marktgesetze. Weil im traditionellen olympischen Programm noch einige Disziplinen sind, die sich als wenig fernsehtauglich erwiesen – Gewichtheben, Ringen, Schießen, Dressurreiten, aber auch Amateurboxen (!), sollen diese Sportarten verschwinden und durch »moderne« ersetzt werden – etwa Inlineskaten, Squash, Karate, Golf, Rugby usw. Sportarten also, die höhere Resonanz im Fernsehen erwarten lassen oder die – durch ihre Exklusivität – potente Sponsoren auf den Plan rufen.

Rettung für den Sport ist aber nur denkbar, wenn dem Sog des Geldes widerstanden wird und er wieder zu dem wird, was er ursprünglich war – eine intensive, durchaus mit dem Wettkampfgedanken verbundene Freizeitbetätigung, die nicht in erste Linie auf Geldverdienen, sondern auf den fairen Wettstreit zielt. Da eine solche Renaissance des echten sportlichen Gedankens aber eine Illusion ist, wird der Sport immer mehr zum Varieté vor Massenmpublikum, worüber sich diejenigen am wenigsten aufregen sollten, die ihn auf diesen Weg gedrängt haben.